Selbstbild/ Fremdbild = Menschenbild

Die Prägung des eigenen Weltbildes Auswirkung auf die eigene Rolle und die Handhabung des beruflichen Alltags.

Contents

Einleitung

Seit etwa 15 Jahren arbeite ich als Ausbilder in der beruflichen Bildung mit lernbehinderten Rehabilitanden die ich in der Folge als Teilnehmer bezeichnen werde. In dieser Zeit war es für mich regelmäßig zu beobachten, dass Ausbilder in diesem Bereich den Anspruch erhoben, der Teilnehmer müsse ihrer Vorstellung von Normalität entsprechen, sonst tauge er nichts. Vom Teilnehmer wird also abverlangt das er seine eigene Welt verlässt und die des Ausbilders betreten soll obwohl dieser Prozess wohl umgekehrt verlaufen sollte. Diese Beobachtungen motivieren mich dazu, mich im Zuge dieser Abschlussarbeit mit dem Thema auseinander zu setzen. Ich werde im Rahmen dieser Arbeit versuchen zu klären woher das Selbstbild kommt, wie daraus ein Menschenbild entsteht und welche Phänomene auf der interpersonalen Ebene wirken.

Eine lyrische Hinleitung zum Thema

Das Korsett

Einst aus einem geboren ohne selber eines zu tragen,
weiß ich heute, es ist immer so.

Man erblickt das Licht der Welt ganz ohne ein Korsett.

Umgeben von Korsetten und trotzdem frei und unbefangen,
voller Tatendrang und Entdeckergeist war in dieser Welt fast alles möglich.

Wie Münchhausen sich aus dem Sumpfe zog, so lernte ich das Laufen.

So einfach, ich packte mich am Kragen und zog mich hoch,
um mich fortan auf zwei Beinen in der Welt zu bewegen.

Umgeben von Korsetten in einer immer größer werdenden Welt,
voller Tatendrang und Entdeckergeist war in dieser Welt fast alles möglich.

Es dauerte wohl nicht lange, da trug ich selber eines, ein Korsett natürlich.

Ganz leicht und luftig, noch nicht geschnürt merkte ich es kaum.

Umgeben von Korsetten in einer immer noch größer werdenden Welt,
voller Tatendrang und Entdeckergeist war in dieser Welt noch vieles möglich.

Die Schnürung wird fester, ich konnte es fühlen, es behagte mir nicht.

Es kneift, es zwickt das Korsett, in Erwartung auf Besserung erduldete ich es.

Umgeben von Korsetten in einer noch größer werdenden Welt,
mit Tatendrang und Entdeckergeist war in dieser Welt noch immer vieles möglich.

Das Korsett an meinem Leib die Schnürung wird fester.

Es formt und schränkt mich ein. Ich erdulde es in Hoffnung auf Gutes.

Umgeben von Korsetten in einer ziemlich großen Welt,
mit Tatendrang und Entdeckergeist ist in dieser Welt doch vieles möglich.

Alle tragen eines, ein Korsett. Die einen ertragen es wie ich,
die anderen lieben es, ich kann es kaum verstehen.

Sie nutzen es, um ein gutes Bild abzugeben, oder die Welt zu verbessern.

Sie hassen oder lieben es. Des einen Pein, des anderen Lust.

Umgeben von Korsetten in einer sehr großen Welt,
mit viel Tatendrang und Entdeckergeist ist in dieser Welt doch einiges möglich.

Ich habe es studiert, versuche zu verstehen, habe Wege und Möglichkeiten entdeckt.

Ein bisschen Zupfen hier, ein wenig Schieben dort, die Schnürung gelockert.

Nun passt es in diese oder eine andere Welt.

Umgeben von Korsetten in einer großen und anders werdenden Welt,
mit dem Verstehen und Akzeptieren ist in dieser Welt doch einiges möglich.

Ich studiere es, versuche zu verstehen.

Die Welt ist so groß, oder klein. Viele brauchen ihr Korsett um nicht verloren zu
gehen, manche auch aus anderen Gründen.

Umgeben von Korsetten in einer wirklich sehr großen Welt,
mit dem Anerkennen und viel Entdeckergeist wird in dieser Welt noch mehr möglich.

Wir alle tragen eines und sind uns ähnlich und doch sehr unterschiedlich.

Meines erkunde ich weiterhin, auf deines bin ich  weiterhin neugierig.

Das Korsett  (Vornheder, 2011, S.1-3)

Das Selbst

Dieses Kapitel wird sich im Kern damit beschäftigen was das Selbst ist und wie sich eine Persönlichkeit entwickelt. Es geht im Wesen nicht um die komplexen Theorien Freuds oder Rogers sondern nur um die Kernaussagen im Bezug auf das Selbst.

Das Selbst ist zunächst als das zu betrachten was eine Person ausmacht, es besteht aus den Gedanken und Überzeugungen die diese Person über sich selbst hat. Seine Biographie, sein Wissen und seine Erfahrungen.

Ein großer Teil unseres „Selbst“ ist uns nicht bewusst. Sigmund Freud nutzte schon sein Schichtenmodell um das darzustellen. In Anlehnung daran wird heute das sogenannte Eisbergmodell zum visualisieren dieser Anteile verwendet.

 

Das Eisbergmodell in Anlehnung an das Schichtenmodell

 

Der Fokus soll an dieser Stelle aber nicht auf den Inhalten des abgebildeten Modells liegen. Es soll lediglich dabei helfen den großen Unterschied  zwischen den Bewussten (10 – 20%) und den Unbewussten (80 – 90%)  Anteilen des Selbst zu erkennen.

Drei  Instanzen des Selbst

Die Begriffe des Es, Ich und Über-Ich, sind mittlerweile sind in die Alltagssprache eingegangen. Seine psychologischen Untersuchungen führten Freud zur Annahme von drei Bereichen oder Systemen des Psychischen. Diese unterscheiden sich in ihrer Funktion und, damit zusammenhängend, inwieweit sie bewusst sind und ob es sich um angeborene biologische Triebe oder um kulturell vermittelte Motive handelt.

Das Es ist der gegebene, der biologische Anteil des Selbst. Bei dem Es handelt es sich um die uns angeborenen biologischen Triebe die nach Befriedigung drängen. Diese Es wohnt uns von der Außenwelt abgeschnitten inne, scheint aber unsere wesentliche Triebfeder zu sein.

Aus diesem Es bildet sich im direkten Kontakt nach außen, also aus den äußeren Reizen, das Ich heraus. Dieses Ich stellt einen Bezug zur Realität her, es ist als die Instanz zu verstehen, die die Triebe des Es überprüft. Das ich ist in diesem Sinn als die Instanz zu verstehen, die dafür verantwortlich ist ob ein Bedürfnis sofort befriedigt wird, aufgeschoben oder gar vermieden wird. Gleichwohl ist das Ich als die Instanz zu verstehen, die prüft ob die Befriedigung eines Triebes möglicherweise gefährlich ist und verhindert werden muss.

Das Ich bildet sich in der frühen Kindheit zwischen Geburt und etwa dem sechsten Lebensjahr heraus. Die Entwicklung des Ich erfolgt in verschiedenen Stadien die nach Freud besonders störanfällig sind. Da die Entwicklungstheorie Freuds den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde soll sie hier nur sehr kurz angerissen werden um die Beschreibung des Ich zu verdeutlichen.

Diese Phasen sind die orale Phase in der eine Person den Bedürfnisaufschub lernt. Die narzistische Phase in der sie die Objektbeziehung in eine Subjektbeziehung wandelt und für die Qualität von Selbstbeziehung und Fremdbeziehungen verantwortlich ist. In der Analen Phase entwickelt sich ein Ordnungs- und Sauberkeitssinn. In der ödipalen Phase entwickelt Faktoren die sich rund um das eigene Geschlecht, die Sexualität und die Geschlechterrollen drehen. Zwei weitere Phasen, die Latenzphase und die Genitale Phase sollen hier zumindest noch namentlich erwähnt werden.

Das Es und das Ich sind Instanzen die gleichauf nach sofortiger Befriedigung verlangen. Sie sind Triebfedern die sich in zwei unterschiedliche Richtungen bewegen. Das Es ist demnach auf sofortigen Lustgewinn und das Ich auf Sicherheit aus, es besteht also eine große Ambivalenz.

Darüber hinaus gibt es nach Freud noch eine dritte Instanz, das Über-Ich. Während sich das Ich als nahezu geschlossene Instanz in den frühen Lebensjahren herausbildet, entwickelt sich das Über-Ich in einem erweiterten sozialen Kontext. Das Über-Ich entwickelt sich in verschiedenen Zusammenhängen, unter anderem unter kulturellen, gesellschaftlichen, religiösen, politischen und normativen Einflüssen.

Das Über-Ich ist als die Instanz zu verstehen, die das Spannungsfeld zwischen Es und Ich reguliert. Das bedeutet, dass das Über-Ich reguliert ob in einer bestimmten Situation, in einem bestimmten Rahmen das Es mit seiner Treibbefriedigung oder das Ich mit seinem Sicherheitsbedürfnis zum Zuge kommt. Es wirkt sozusagen als die moralische Instanz oder Richter in einem Lebensweltbezug, was ist in welcher Situation angemessen.

Im Bezug auf das Selbst scheint das Über-ich der einzige Bereich, der mit einem Bewusstsein für die Funktion und den jeweiligen Rahmen, die Instanz ist, die für eine Person reflektierbar und veränderbar ist. Der Zugang zum Es und zum Ich, den beiden unbewussten Instanzen, ist demzufolge nur psychoanalytisch oder tiefenpsychologisch möglich. (vgl. Freud, 1994, S.41- 102)

Dynamik der Selbstaktualisierung

Nachdem die Theorie Freuds anmuten lässt, dass das Selbst in gewisser Relation, zumindest im Kontext des Es und des Ich eine nahezu statische Größe ist, beschreibt Rogers das Selbst als eine dynamische auf Weiterentwicklung bezogene Größe.

Für die Beschreibung der Entwicklung des Selbst nutzt Rogers die Theorie der Selbstaktualisierung. Der Ansatz der Selbstaktualisierung ist grundsätzlich überall in der Natur vorzufinden. Rogers beschreibt sie als organismisch, das heißt, dass diese Tendenz jedem Organismus innewohnt.

Grundsätzlich ist erst einmal davon auszugehen, dass ein gesunder Organismus jede Information, die er bekommt, für seine Entwicklung nutzt. Das bedeutet im Umkehrschluss, wenn eine Person relevante Informationen erlangt, diese Person in der Lage ist, sich daraus weiter zu entwickeln. Weiterhin wird deutlich, dass die Entwicklung des Selbst als ein offener Prozess verstanden werden kann, der seine Grenzen im Zugang von Informationen findet.

Rogers spricht in diesen Zusammenhang auch nicht von Prägung wie Freud, sondern von Entwicklung. Im Bezug auf das Selbst ist diese Entwicklung als ein Reifeprozess des Selbst zu verstehen. Einen reifen Selbst schreibt Rogers vor allen einen großen Erfahrungsschatz und einen hohen Grad der Spiritualität, dass heißt, ein Bewusstsein für das eigene Erleben und Handeln und den daraus resultierende Erfahrungen zu. Der Erfahrung räumt er für die Entwicklung den höchsten Wert ein, für sich selber sagt er, das er mit jedem Klienten er die große Möglichkeit hat Erfahrung zu sammeln und sich mit diesen Erfahrungen zu entwickeln. Eine große Prämisse ist für ihn das Öffnen sich selbst gegenüber und das wirken lassen von innen möglichst unabhängig von äußeren Einflüssen. Diesem Wirken lassen kann zumindest im Zusammenhang der Reha-Ausbilder Ausbildung der emergente Bereich der Reflexion zugeschrieben werden.

Darüber hinaus schreibt Rogers der sozialen Beziehung im Therapiekontext für diese Entwicklung einen größeren Wert zu als der Therapie an sich. Daraus kann gut abgeleitet werden, das eine qualitativ gute Beziehung zum Teilnehmer besonders im Rahmen der Reha-Ausbildung ein adäquates Förderinstrument sein kann. (vgl. Rogers , 2006 , S.31 ff.)

Versuche ein generelles Menschenbild zu zeichnen

Wahrscheinlich seit der Mensch sich mit sich selbst und seinem Wirken beschäftigt, stellt er sich wohl die Frage nach dem, was richtig oder falsch, was gut oder schlecht ist. Was zunächst eine rein philosophische Fragestellung war, geht etwa im 17. Jahrhundert in andere Disziplinen, insbesondere der Psychologie, über. Wie im nachfolgenden Schaubild dargestellt, entwickeln sich Theorien über ein generell positives oder negatives Menschenbild. Diese Menschenbilder beziehen sich aber nicht auf individuell entwickelte Eigenschaften eines Menschen, sondern auf eine generelle Veranlagung des Menschen.

Auffällig ist, dass sich die Kernaussagen über Jahrhunderte decken. Allerdings ist eine unterschiedliche sprachliche Ausdrucksforme zu bemerken, die vermutlich im Sprachgebrauch der entsprechenden Zeit begründet liegt. Darüber hinaus scheint es so, dass das pessimistische Menschenbild den triebhaften Menschen, der auf Befriedigung seiner Bedürfnisse aus ist, beschreibt, während das optimistische Menschenbild von einem reflexiven, entwicklungsfähigen Menschen zeugt.

Wissenschaftliche Menschenbilder

 
Quelle: http://www.grin.com/object/document.131361/72cd7917d78fbdf4e0f69ad5eee1f6ec_LARGE.png

Vermutlich wird es nie eine konkrete Antwort auf die Frage, ob der Mensch nun gut oder schlecht ist, geben.

Darüber hinaus werden in den verschiedensten Zusammenhängen Menschenbilder entworfen. Es gibt unter anderem religiöse, kulturelle und politische Menschenbilder. Was hier auffällt ist, dass in diesen Menschenbildern keine generelle Tendenz beschrieben wird, sondern vielmehr wie ein Mensch mit einer bestimmten Ausrichtung ist oder sein sollte. Diese Menschenbilder stehen immer in einem übergeordneten Kontext über dem persönlichen, individuellen Menschenbild.

Ein christliches Menschbild

Quelle: http://www.michael-tausch.de/christl_menschenbild/christl_menschenbild.jpg

Politische Überzeugungen werden zum Beispiel das Menschenbild beeinflussen. So war während des Nationalsozialismus das Menschenbild in der deutschen Bevölkerung ein völlig anderes, als es heute ist. Auch wird sich ein christliches Menschenbild sicherlich von einem islamischen Menschenbild unterscheiden.

Dieser Umstand bietet durchaus Konfliktpotential. Beispielsweise möchte ein Ausbilder zum Einläuten des Sommerurlaubes mit seinen Teilnehmern grillen. Im Islam gilt Schweinefleisch als unrein, Speisen für Teilnehmer mit einem islamischen Menschenbild müssen auf einem gesonderten Grill zubereitet werden, sie dürfen nicht mit Schweinefleisch in Berührung kommen. Ähnlich verhält es sich möglicherweise für eine Ausbilderin die mit einem männlichen Teilnehmer etwas per Handschlag vereinbaren will. Diese für ein christliches Menschenbild völlig normale Körperlichkeit ist in dem islamischen Menschenbild für bestimmte Personengruppen nicht zulässig weil sie zu unreinen Gedanken führen könnte.

Über diese generellen und normativen Menschenbilder hinaus konstruiert sich jeder Mensch auf der Grundlage seines Selbstbildes sein individuelles Menschenbild und sein Bild von einer Welt wie sie für ihn ist oder sein sollte.

Menschenbild und Weltbild als Spiegel des Selbstbildes

Das Selbstbild ist der ist der Inhalt des Selbst der von einer Person erkannt wird, folglich die bewussten Anteile des Selbst.

Unser „Selbstbild“ ist der Maßstab für den Entwurf unseres Menschenbildes und des Weltbildes von der Welt in der wir uns bewegen. Das aus dem Selbstbild konstruierte Menschenbild ist unsere Vorstellung davon, was einen Menschen ausmacht, oder präziser wie ein Mensch sein sollte. Das Menschenbild beschreibt das Wesen des Menschen. Es beinhaltet das, was den Menschen von der unbelebten Natur, von Pflanzen und Tieren unterscheidet.

Dieses Menschenbild wenden wir dann auf den anderen an. Beispielsweise wird ein Ausbilder zu dessen Menschbild gehört, dass ein Mensch ordentlich und pünktlich sein muss, bei seinem Auszubildenden ganz besonderen Wert auf Ordnung und Pünktlichkeit legen.

Zum Menschenbild und Weltbild aber auch Selbstbild einer Person kann hier abschließend festgestellt werden, das es sich um ein normatives Konstrukt handelt dessen Ursprung in der Interpretation des Selbst begründet liegt.

Phänomene im interpersonalen Kontext

Wie vorangegangen schon angesprochen ist uns ein großer Teil unseres „Selbst“ nicht bewusst. Trotz dieser großen unbewussten Anteile wirkt das aus unserem Selbstbild konstruierte Menschenbild auf soziale Kontexte, in diesem Rahmen besonders auf Ausbildungssituationen ein.

Für das Wirken „unseres“ Menschenbildes bedeutet das, dass der kleinere Anteil uns sehr wohl bewusst und damit auch direkt beeinflussbar ist. Der weitaus größere Anteil ist uns aber nicht bewusst, wirkt aber trotzdem auf die Ausbildungssituation ein. Das Eisbergmodell soll hier nochmals zum visualisieren der Größe dieser Anteile verwendet werden.

Die Theorien von Übertragung, Gegenübertragung und Projektion gehen Freud zurück. Diese Phänomene haben ihren Ursprung in der Psychoanalyse, finden heute aber aufgrund ihrer Bedeutung auf breiter Ebene Berücksichtigung.

Im Nachfolgenden werden diese Phänomene angerissen und anhand von Beispielen aus der Praxis aufgezeigt

Übertragung

Übertragung beschreibt einen Vorgang bei dem unbewusste Einstellungen, Gefühle, und Wünsche nicht als ein Teil der Kindheit erinnert werden. Bei einer Übertragung werden diese Aspekte real im Kontakt mit anderen Personen erlebt. (vgl. Freud, 1994, S.70 ff.)

Ein Teilnehmer sieht beispielsweise in seinem Ausbilder die Person seines Vaters und verhält sich dem Ausbilder gegenüber entsprechend. Auf der unbewussten Ebene wird der Auszubildende alte Situationen wiederherstellen und sich dem Ausbilder gegenüber so verhalten als wenn es der Vater wäre. Der Ausbilder wird dann nicht so wahrgenommen wie er wirklich ist, sondern er wird als die Person des Vaters wahrgenommen und auch so behandelt.

Ein recht gutes Beispiel biete möglicher weise folgende Situation. Ein Reha-Auszubildender zum Bau- und Metallmaler bekommt den Auftrag eine Wandfläche zu beschichten. Während seiner Ausbildung hat er schon gelernt die Bearbeitung dieses Auftrages zu planen und die Arbeiten planvoll und strukturiert durchzuführen. Er braucht also wenig Assistenz. Trotz der Kenntnisse des Teilnehmers hat der Ausbilder das Bedürfnis den Verlauf der Arbeiten zu überprüfen. Vor Ort trifft der Ausbilder den Auszubildenden dabei an wie er gerade die benötigte Farbe anrührt. Als der Ausbilder sieht, dass der Auszubildende das Rührholz, mit dem er die Farbe umgerührt hat, nicht wie im Ausbildungsverlauf vermittelt und schon sehr häufig angewendet mit einem Pinsel abstreift, sondern einen Lappen in die Hand nimmt und die Farbe abwischen will, greift der Ausbilder nach dem Rührholz und maßregelt den Auszubildenden mit der Aussage das dieses Vorgehen falsch ist. Ausbilder und Auszubildender verlassen wütend den Raum.

Abgesehen davon, dass dieses Vorgehen des Ausbilders methodisch nicht angemessen ist, passiert in dieser Situation möglicher Weise eine Übertragung. Der Auszubildende sieht in dieser Situation nicht den Ausbilder in seiner Rolle des Kenntnisvermittlers oder Mentors sondern den Vater der im häuslichen Bereich den Sohn häufig maßregelt und ihn ständig auf seine Fehler hinweist.

Gegenübertragung

Die Gegenübertragung beschreibt Freud als die unbewusste Reaktion auf eine Übertragung. Gleichwohl kann sich eine Gegenübertragung auch in einer Reaktion des Ausbilders auf den anvertrauten Auszubildenden äußern. (vgl. Freud, 1994, S.70 ff.)

Wenn auch die gerade beschriebene Situation mit dem Maler Auszubildenden möglicher Weise das Phänomen der Gegenübertragung beinhaltet, soll hier eine neue Situation beschrieben werden, die, die Gegenübertragung nicht als eine Reaktion auf eine Übertragung beschreibt sondern als ein Phänomen das Vom Ausbilder, vom professionellen ausgeht.

Gerade wurde in der Ausbildungswerkstatt ein Auszubildender wegen groben Regelüberschreitungen aus der Ausbildung entlassen. Aufgrund der vorangegangenen sehr bewegten Situation hat der Ausbilder den Auszubildenden, ganz besonders seine Gefühle dazu, in Erinnerung. Beim Träger beginnt eine neue Berufsvorbereitungsmaßnahme und nach einer Eignungsanalyse werden die Teilnehmer den Gewerken zugewiesen.

Die Gruppe der Teilnehmer findet sich Montagsmorgens in der Werkstatt ein und es beginnt eine Vorstellungsrunde der, der Ausbilder beiwohnt. Als der dritte Teilnehmer beginnt sich vorzustellen, passiert beim Ausbilder etwas. Er bemerkt bei dem Teilnehmer eine unangemessene Körperhaltung und unvollständige Arbeitskleidung. Das nimmt der Ausbilder zum Anlass mit dem Teilnehmer gleich in eine aggressiv anmutende Auseinandersetzung zu gehen und das obwohl sich andere Teilnehmer sehr ähnlich verhalten oder unvollständig gekleidet sind.

Was ist passiert? Teilnehmer hat beim Ausbilder, vermutlich wegen einer gewissen Ähnlichkeit, das Bild aber ganz besonders das emotional Erlebte aktiviert. Der Ausbilder sieht in dem Teilnehmer all den Ärger und Unmut den er mit dem entlassenen Auszubildenden hatte.

Auch wenn es sich hier um eine sehr knappe Beschreibung handelt, sollte deutlich werden, dass sich Übertragung und Gegenübertragung in der Form voneinander abgrenzen lassen, das die Übertragung den Klienten (Teilnehmer) und die Gegenübertragung dem Professionellen (Ausbilder) zuschreiben lassen.

Projektion

Ein Ausbilder gibt seinem 22-jährigen Reha-Auszubildenden, mit dem Wissen über seine Beeinträchtigung die in einer Lernbehinderung begründet liegt, eine eher niederschwellige, also einfache Aufgabenstellung. In seinem Wissen über die Beeinträchtigung des Auszubildenden hat der Ausbilder die Aufgabe auch entsprechend methodisch ausgestaltet. Darüber hinaus hat der Ausbilder die Aufgabe auch noch besonders kleinschrittig gegliedert und den Zeitbedarf für die Erledigung der Aufgabe großzügig erweitert. Der Auszubildende liefert nun nach einer erheblichen Zeitüberschreitung ein Arbeitsergebnis ab, welches nicht im Geringsten den von seinem Ausbilder gestellten Anforderungen entspricht.

Trotz aller Förderung, gut gewählter Unterweisungsmethoden, dem Wissen über die Defizite die der Teilnehmer mitbringt und einer Engelsgeduld des Ausbilders, wird eine solche Situation etwas mit dem Ausbilder machen.

  • Möglicher Weise wird der Ausbilder enttäuscht sein
  • Vielleicht wird er auch wütend oder verärgert sein
  • Oder auch entsetzt oder traurig

Aber warum?

  • Hat der Ausbilder möglicher Weise seine Erwartungen zu hoch angesetzt?
  • War der Ausbilder zu ungeduldig?
  • Hätten der Ausbilder den Reha-Auszubildenden noch besser vorbereiten müssen?

Die beschriebenen Reaktionen des Ausbilders sind in dieser Situation eigentlich auf ihn selbst gerichtet. Aber, und das meint der Ansatz der Projektion, die Ursache für diese Reaktion sucht der Ausbilder nicht bei sich selbst, sondern im Handeln des Teilnehmers. Wobei er sich nicht auf die ganze Person des Teilnehmers mit seinen Kompetenzen und Defiziten bezieht, sondern sich auf sein Handeln oder Verhalten beschränkt.

Um die Projektion an dieser Stelle noch ein wenig Bildhafter und nachvollziehbarer zu beschreiben soll eine Situation beschrieben werden die wohl jeder schon einmal erlebt hat oder vielleicht sogar erinnern kann.

„Entwicklungsgeschichtlich wird die Projektion mit der Neigung des Kindes zusammengebracht, das Unangenehme kurzerhand in die Außenwelt zu befördern und auszuspucken. So zieht es das Kleinkind, das sich am Tisch gestoßen hat, vor, den Tisch zu schlagen und ihm die Schuld für das Geschehene zuzuschreiben, anstatt sich seiner eigenen Ungeschicklichkeit bewusst zu werden. Ein solches Vorgehen stimmt mit der allgemeinen Beobachtung überein, dass es einfacher ist, einer von außen drohenden Gefahr zu begegnen als einer, die sich im Inneren zusammenbraut“ (Schacht, 1975, S. 41).

Mit dieser Aussage und dem Wissen darüber das sich ein Großteil seines Menschenbildes sich im Unbewussten verbirgt, hat er eine gute Grundlage daran zu arbeiten. Arbeiten in diesem Sinne heißt, dass er versuchen muss, sich sein Menschenbild bewusst zu machen um den Gefahren zu entgehen, wie Lore Schacht sie beschreibt.

„Falls es sich um die Projektion aggressiver Impulse handelt, bedeutet Projektion nicht nur, den Splitter im Auge des anderen und den Balken im eigenen Auge nicht zu sehen, sondern es heißt vielmehr, den Balken im Auge des anderen zu sehen, den man im eigenen Auge nicht ertragen kann“ (Schacht, 1975, S. 42).

Fazit und kritischer Ausblick

Mit Feststellung darüber, dass ein Großteil unseres Menschenbildes sich in unserem Unbewussten verbirgt, haben wir eine gute Grundlage daran zu arbeiten. Arbeiten in diesem Sinne heißt, dass wir versuchen müssen, uns unser Menschenbild bewusst zu machen um den Gefahren zu entgehen, wie Lore Schacht sie beschreibt. (vgl.Schacht, 1975, S.41 f.)

Bewusstmachung meint in diesem Sinn das reflektieren von eigenen Impulsen und Affekten des Ausbilders. Hier setzt die Forderung der Reflexion der betrieblichen Ausbildungspraxis an. Reflexion meint an dieser Stelle nicht das das Nachdenken über eine vergangene pädagogische Situation aus Sicht des Ausbilders. Sondern vielmehr das, vielleicht auch kritische, Hinterfragen von uns selbst und unseren Gefühlen. Und zwar schon vor dem Prozess (Ausbildungs- oder Übungssequenz) und vor allen Dingen während des Prozesses. Natürlich dann in der „klassischen Variante“ nach der erfolgten Ausbildungs- oder Übungssequenz.

Mit dem Bewusst machen unseres Menschenbildes können wir uns in die Lage versetzen Ausbildungssituationen positiver zu gestalten und Interventionen sinnentsprechender anzuwenden. Und vor allen Dingen werden wir in der Lage sein dem Teilnehmer auch in ungünstigen Situationen mit der notwendigen menschlichen Achtung gegenüber zu treten.

Der kritische Ausblick soll an dieser Stelle nicht unterschlagen werden. Die Soziologin Rademacher hat sich in den vergangen Jahren mit dem gesellschaftlichen Wandel befasst. Sie macht für unser Vorhaben keine gute Prognose. Ihrer Aussage nach, sind besonderer die jungen Menschen in unserer Gesellschaft nicht mehr in der Situation ein vollständiges Selbst in dem nach Freud beschriebenen Rahmen, sie nennt es Identität, zu entwickeln. Vielmehr sei heute jeder junge Mensch in der Situation sich dieses zusammenbasten zu müssen.

Literaturverzeichnis

  • Eickelpasch, Rolf/Rademacher, Claudia, 2010, Identität, 3. Auflage, Bielefeld, transcript Verlag
  • Freud, Sigmund, 1994,  Abriß der Psychoanalyse, Frankfurt a. Main, Fischer Taschenbuchverlag
  • Rogers, Carl R, 2006, Entwicklung der Persönlichkeit. 16. Aufl., Klett-Cotta, Stuttgart.
  • Schacht, Lore, 1975, Abwehr, In:Psychologie für Nichtpsychologen, 2. Aufl., Kreutz, Stuttgart.
  • Vornheder,Oliver, 2011, Das Korsett. Fachprüfung im Fach Heilpädagogik an der FH Bielefeld
  1. Eidesstattliche Erklärung

Hiermit erkläre ich an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe; die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht.

Löhne,___________________ ___________________________

(Ort, Datum)                                                    (Unterschrift)

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