Provokative Therapie

Der Ursprung der provokativen Therapie liegt in den USA, der Begründer Frank Farrelly beginnt diese Methode schon während seiner Studienzeit 1956 zu entwickeln.

Farrellys Ausbildung orientiert sich an der Lehre Freuds, die Farrelly selbst als „Freudsches Evangelium“ bezeichnet. Mit dieser Grundlage erkennt er in einer Phase des klinischen Trainings seine persönlichen Grenzen. Farrelly hat in der Arbeit mit seinen Klienten nicht die Erfolge die er sich erhofft hat, sein Supervisor warnt ihn sogar davor, seine Gegenübertragungsgefühle Oberhand gewinnen zu lassen.

Kommilitonen motivieren Farrelly dazu Carl Rogers Buch „Klientenzentrierte Therapie“ zu lesen, die er als ihre Bibel bezeichnet. Zunächst ist er wenig beeindruckt, hält Rogers für furchtbar oberflächlich und weit entfernt vom „Freudschen Evangelium“ mit wenig Tiefe, erst als er sich mit verschiedenen Gesprächsprotokollen auseinandersetzt, findet er Begeisterung und beschließt für sich diese Methode anzuwenden.

Nach einem ersten Therapiegespräch ist er begeistert darüber, dass er zum ersten Mal versteht wie die Dinge vom Standpunkt seiner Klientin aus aussehen. „Es war eine sehr erschreckende, gleichzeitig aber auch ermunternde Erfahrung, in die Welt eines anderen Menschen einzutreten, in welcher Hölle oder „Ecke des Universums“ sie auch immer wohnte […], und Menschen, Plätze, Dinge, Gefühle und Verhaltensweisen aus ihrem Blickwinkel zu sehen. Hierdurch wurde ihr Verhalten sinnvoll.“

Ab 1959 macht Farrelly zunächst unbeabsichtigt erste Erfahrungen mit der Provokation. In einem Gespräch mit einem anderen Sozialarbeiter äußert Farrelly, das seine „Herausplatzer“ und die Äußerung seiner „Gegenübertragungsgefühle“ oft hilfreich für seine Klienten seien.

Als er 1961-1963 in einem Projekt von Rogers mitarbeitet, bemerkt er, „dass die passivere, mehr aufnehmende Rolle des Therapeuten“ nichts für ihn sei. Diese ersten Erfahrungen mit der Provokation bringen Farrelly dazu seine eigenen Reaktionen in eine Behandlungsform einzubringen, die er als „emotionale Ehrlichkeit“ bezeichnet. Er stellt fest, dass seine „Ehrlichkeit“ so etwas wie Unglauben und seine „Lügen“ etwas wie Glauben bei seinen Klienten auslöst. Als er sich um 1964 mit einer Praxis niederlässt macht er sich große Sorgen um mögliche Prozesse die ihm Klienten androhten. Dazu ist es aber nie gekommen.

1966 wird er von Randy Parker dazu motiviert seiner Therapieform einen Namen zu geben. Verschiedene Namen wie „Protesttherapie“, „Necktherapie“, „Schmutztherapie“, „Sündtherapie“ stehen zur Debatte, bei einem weiteren Vorschlag „provokative Therapie“ macht Farrelly sich zunächst Sorgen, dass dieser Name mit Sex, oder sexueller Provokation in einen Kontext gebracht werden könne, wendet ihn aber später für seine Methode an.

Für seine Methode der provokativen Therapie trifft Farrelly folgende Annahmen:

Für Menschen gibt es viele Wege sich anzupassen respektive sich zu verändern. In diesem Kontext ist es eine wichtige Methode ihn vor eine Herausforderung zu stellen der er nicht ausweichen kann. In diesem Sinn ist es die Aufgabe des Therapeuten ihn genügend herauszufordern, dazu zu provozieren neue Verhaltensmuster zu benutzen. „Einer der charakteristischen Züge der provokativen Therapie ist die Art, wie der Therapeut die Vermeidung des Patienten nicht duldet, auch nicht beim ersten Kontakt.“

Der provokative Therapeut nimmt den Standpunkt ein, dass Menschen für ihr Handeln und Denken verantwortlich zu machen sind. Es wird ihnen abgesprochen ein „blindes, hilfloses, völlig festgelegtes Opfer eines Unbewussten“ zu sein. Die grundsätzliche Annahme für die provokative Therapie ist, dass das Individuum für sein Verhalten verantwortlich zu machen ist, dieses aber gleichzeitig ein sehr schwieriges Eingeständnis für den betreffenden Menschen ist. Belegbar ist das mit dem guten Beispiel aus der ostwestfälischen Redensart: „Wenn der Bauer nicht schwimmen kann, dann liegt das an der Badehose“.

Eleonore Höfner bringt das in ihrem Kapitel „Der mündige Klient“ mit einer Überschrift auf den Punkt, „Selbstverantwortung statt Opfermentalität“.

Klienten ändern sich nicht, weil sie es nicht wollen. Wenn sie sich entscheiden es zu wollen, können sie sich auch verändern.

Das Verhalten eines Menschen macht in seinem Kontext einen Sinn, es ist logisch und verstehbar. Wenn wir ihn nicht verstehen, haben wir noch nicht alle Informationen die dafür notwendig sind.

Es ist für den Klienten hilfreicher als „ein unechtes, verkrampftes Annehmen“, wenn wir ehrlich zu ihnen sind, auch wenn das in einem zurückweisen mündet.

„Die bedeutendsten Botschaften zwischen Menschen sind nicht sprachlicher Natur“, eine wesendliche Rolle spielt die nonverbale Kommunikation.

Farrelly hängt dem noch zwei zentrale Hypothesen an.

„Die erste Hypothese richtet sich an die Einstellung des Patienten, sich selbst gegenüber, seinem Selbstkonzept: Wenn er von dem Therapeuten provoziert wird […], tendiert der Patient dazu, sich in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen und zwar genau entgegengesetzt der Definition, die der Therapeut von dem Patienten als Person gegeben hat.

Die zweite Hypothese zielt auf das offene Verhalten des Patienten: Wenn er provokativ von dem Therapeuten dazu gedrängt wird […], seine Selbstverteidigung und sein eingeschränktes Verhalten fortzusetzen, dann wird der Patient dazu neigen, sich auf sein eigenes sich selbsterweiterndes und den anderen förderndes Verhalten einzulassen. Das führt sehr viel direkter an die gesellschaftliche Norm heran.“

Für Farrelly selbst ist die provokative Therapie eine „fundierte Methode“ die allerdings nicht ausschließlich aus Provokation besteht sondern viele andere Techniken wie zum Beispiel Konfrontation oder offene Fragen mit einbezieht. Wesentlich für die provokative Therapie ist ebenso wie in anderen psychotherapeutischen Schulen, dass der Therapeut den Klienten annimmt. Ein weiteres wichtiges Merkmal besteht darin, dass der Therapeut die wichtigsten Manöver des Klienten wie Lügen, Rationalisieren und Erfinden beherrschen muss um sie im therapeutischen Sinn strategisch zu nutzen. Hier geht es darum das Verhalten des Klienten zu Spiegeln, zu überzeichnen oder gar als Paradoxie einzusetzen.

Soviel zu der Herkunft und den Grundlagen der „provokativen Therapie“, Eleonore Höfner die Begründerin dieser Methode in Deutschland formuliert etwas bescheidener, sie spricht von einem „provokativen Stil“. Bei meinen Recherchen bin ich immer wieder über einen solchen Stil in den verschiedenen Zusammenhängen gestolpert. Der provokative Stil im kurzen ProSt genannt wird in den unterschiedlichsten Bereichen angewandt, provokatives Coaching, provokative Gesprächsführung, provokative Therapie, aber auch in unserer Alltagskommunikation haben viele von uns schon erlebt, dass etwas völlig überzeichnet dargestellt und mit einem Augenzwinkern oder Rippenstoß begleitet wird.  Eleonore Höfner hat den provokativen stil in Deutschland etabliert, Interessant in diesem Kontext ist, dass die Gesprächsprotokolle in der Literatur von Farrelly und Höfner voneinander abweichen. Da wo wir den Stil von Frank Farrelly als sehr extrem wahrnehmen können, werden wir bei Eleonore Höfner in einem anderen kulturellen Kontext, eine gemäßigte Form feststellen. Für unser Verständnis von Provokation kann man mit Sicherheit sagen, der Grad der Provokation ist abhängig von den kulturellen Gegebenheiten eines Landes.

Wichtig für diesen Stil sind das Bewusstsein für Glaubenssysteme beziehungsweise innere Landkarten, die Haltung des Therapeuten und sein Standort. Mit dem provokativen Stil ist der Therapeut quasi mittendrin und nicht der neutrale Beobachter oder Interviewer am Rande des Geschehens. Eine wesentliche Rolle spielt auch die Echtheit des Therapeuten, ganz besonders auch im Bezug auf seine Gegenübertragungsgefühle. Grundsätzlich ist der provokative Stil durch die Form der Kommunikation insbesondere der des Therapeuten geprägt. Mit seiner provokativen Kommunikation will der Therapeut nicht wie im Alltagsverständnis von Provokation den Klienten verletzen oder beleidigen sondern vielmehr wie aus der Übersetzung vom lateinischen provocare hervorgeht etwas bei seinem Klienten herausfordern oder hervorrufen, nämlich eine Veränderung seines Verhaltens. Der provokative Stil ist mit seinen Provokationen natürlich nicht ausschließlich darauf aus den Klienten leiden zu lassen, dieser soll ganz gegensätzlich in die Situation kommen über sein altes beziehungsweise therapiebedürftiges Verhalten schmunzeln zu können.

Zur Zusammenfassung und dem Verständnis des „Prost“ fasse ich hier die wichtigsten Elemente noch einmal vereinfacht zusammen:

  • Voraussetzung für jede provokative Intervention ist „Ich mag den Klienten“
  • Einstieg in das Weltbild des anderen. Absurd verstärken, dass es genau richtig ist so zu denken. Das Gegenteil ist aber auch richtig.
  • 90 Prozent sind Aussagen (Provokationen) des Therapeuten, nur zehn Prozent sind Fragen (provokative oder rhetorische) an den Klienten.
  • Der Therapeut führt das Gespräch, er redet mehr als der Klient und unterbricht ihn.
  • Der Therapeut  übertreibt Gedankengänge und überzeichnet sie kabarettmäßig
  • Der Therapeut stellt sich dumm und versteht den Klienten absichtlich zweideutig und missverständlich
  • Stereotypisieren, verallgemeinern, allgemeine Wahrheiten aussprechen, Wahrheiten konstruieren – Bildzeitungsschlagzeilen, Witze, Vorurteile, Schwarz-weiß-Denken, Männer-Frauen-Klischees
  • Aussprechen und Konfrontieren mit den inneren Wahrheiten – Befürchtungen, Tabus, negative Gedanken, Geheimnisse offen legen
  • Tabuisierte Szenen und Bilder genüsslich ausmalen und Mimik, Stimme zum Übertreiben nutzen
  • Sich für das Symptom begeistern. Die Gegenmeinung aber genauso spannend finden.
  • Keine Ratschläge geben, höchstens absurde.
  • Geschichten und Metaphern erzählen.
  • Nichts erklären, ziellos wirken.

Herzlichen Dank für Euer Interesse, für Veränderungsvorschläge und kritisches Feedback bin ich offen und dankbar.

Litaratur:   

Farrely, F./ Brandsma, J.F.: Provocative Therapie, Meta Publications, 1974, Cupertino California USA

Farrely/Brandsma, Provokative Therapie, Springer Medizin Verlag, 1986,  Heidelberg

Höfner, Eleonore/Schachtner, Hans-Ulrich: Das wäre doch gelacht!, Humor und Provokation in der Therapie, Rowohlt Taschenbuchverlag, 1997, Reinbeck

 

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